Instandsetzung Sturmey Archer 3-Gang Getriebe an unserer Royal Enfield 350 Standard
Die Getriebe der größeren Royal Enfield Modelle aus 1925 wurden von Sturmey Archer produziert. Die Firma Sturmey Archer war sehr erfolgreich im Bereich Zubehör und Getriebe für Fahrzeuge. Auch heute ist der Name aufgrund der Fahrradnaben noch ein Begriff. Das Getriebe war für damalige Verhältnisse sehr fortschrittlich. Es verfügte über 3 Fahrstufen und einem neutralen Gang. Der 3. Gang stellt einen direkten Kraftschluss zwischen Primär- und Sekundärantrieb dar. Im Getriebe ist zusätzlich ein Kickstarer mit Ratsche integriert. Unüblich für diese Zeit kann man den Motor im neutralen Gang starten. (Viele Fahrzeuge musste angeschoben werden.) Es muss beim Ankicken kein Gang eingelegt sein, wodurch das Motorrad nicht auf einem Ständer stehen muss.
Natürlich sind die Getriebe unsynchronisiert, allerdings ist die Abstimmung der Gänge und die Anordnung der Zahnräder so gut konstruiert, dass keinerlei Geräusche beim schalten entstehen.


Nach einigen Ausfahrten ist uns aufgefallen, dass immer mal wieder der zweite Gang während der Fahrt das „Springen“ anfängt. Auffällig war dieses Phänomen unter Belastung wie zum Beispiel beim Beschleunigen oder einer Bergauffahrt.
Es ist bekannt, dass die Sturmey Archer Getriebe aus dieser Zeit öfters Probleme mit dem zweiten Gang haben. Dies liegt daran, dass das Zahnrad für den zweiten Gang typischerweise mittig auf einer Welle sitzt und somit keinen Anschlag besitzt. Das Zahnrad kann somit unter Last in beide Richtungen auf der Welle verdrängt und dadurch verschoben werden. Dies geschieht oftmals durch altersbedingte Abnutzung der Klauen auf der Welle oder den Zahnradrädern und stark beanspruchten und somit verschlissenen Zähnen.
Meistens entsteht dieser Defekt durch eine vorangegangenes Problem: Die Schaltarretierung ist falsch eingestellt oder das Schaltgestänge hat zu viel Spiel. Der Gang wird bei dieser Konstruktion über die Rastung am Schalthebel gehalten und nicht direkt im Getriebe. Somit kann relativ einfach eine ungünstige Stellung der Schaltklauen und damit der Zahnräder entstehen. Die Zahnräder werden einseitig belastet und nutzen sich entsprechend schnell ab.


Die Lager im Getriebe waren allgemein relativ laut und die Füllung aus Schmierstoffen war sehr dreckig und leicht metallisch. Aus diesem Grund wurde schlussendlich entschieden das Getriebe zu überholen. Ein Fahren bis zum endgültigen Defekt wäre wesentlich aufwändiger geworden und ein Ersatz ist sehr schwer zu bekommen.
Grob geschätzt war das Getriebe 20-30 Jahre nicht geöffnet und dementsprechend stark verdreckt.
Nach intensiver Reinigung konnte das Innenleben betrachtet werden. Die Substanz war allgemein gut. Allerdings hatten die Zähne bereits einen ordentlichen Abrieb und waren abgerundet. Verständlich nach damaligen 97 Jahren.
Nach genauer Inspektion war das Problem mit dem zweiten Gang schnell gefunden. Die Mitnehmerklauen waren abgerundet und verdrängten unter Last das Zahnrad aus dem Gang.




Das Zahnrad sah innenseitig genauso aus. Wir entschieden uns das Getriebe vollständig zu zerlegen und eine sorgfältige Analyse mit Bestandsaufnahme zu machen. Allgemein war die Substanz jedoch gut. Kein hoffnungsloser Fall.
Die Lager haben zwar alle noch einigermaßen funktioniert, waren über die lange Zeit jedoch längst abgenutzt und mit ordentlich Spiel versehen. Aus diesem Grund mussten die Lager ebenfalls ersetzt werden. Während die Wellenlager dem Standardmaß entsprechen und durch hochwertige SKF-Lager ersetzt werden können, machte das Hauptlager größere Probleme. Dieses Lager bewegt sowohl die Welle mit dem Primärzahnrad vom Motor, als auch die Ausgangswelle für den Sekundärantrieb auf das Hinterrad. Es stellte sich recht schnell heraus, dass dieses Lager keinem Standard entspricht und Zollabmessungen hat. Nach längerer Recherche haben wir eine Firma für Sonderlager aus England gefunden. Dieser Hersteller konnte uns ein Lager nachfertigen. Ein teurer Spaß. Innerhalb ein paar Wochen war das Paket angekommen.




Zusätzlich ist noch ein Riss im Gehäuse zum Vorschein gekommen und musste natürlich vorsorglich behoben werden. Das Gehäuse wurde an dieser Stelle mit einer Fräse genutet und anschließend mittels Laser geschweißt.


Als drittes Problem ist ein „Fehler“ aus der damaligen Herstellung aufgefallen. Die Bohrungen der Lager waren nicht 100%ig in einer Flucht und somit verliefen die Wellen im Getriebe nicht exakt parallel. Dies könnte auch das Verschleißproblem und springen des zweiten Gang erklärt haben.
Auch die Wellen und Zahnräder wurden mittels Laser aufgeschweißt und in Handarbeit auf das korrekte Maß geschliffen.


Das komplett gereinigte Gehäuse und Innenleben machte nun einen sehr guten Eindruck.




Nun konnte der Zusammenbau losgehen. Die neuen Lager konnten mittels geeignetem Werkzeug und Temperatur sauber eingepresst werden und passten perfekt.
Das Hauptlager musste beim Einbau zusammengesetzt werden. Ein bisschen Fett diente als Klebstoff beim Zusammenbau.
Nachdem das Innenleben zusammen und eingesetzt war, konnte Getriebe-Fließfett eingefüllt werden.






Neue Dichtungen aus Dichtungspapier wurden angefertigt, das Gehäuse wieder zusammengesetzt und auf guten Lauf geprüft.
Anschließend noch bis zur Markierung mit Fließfett aufgefüllt und die komplette Funktion überprüft. Auch das Spiel der Wellen wurde nachgemessen und als gut befunden.
Das Getriebe dreht sich in allen Gängen sehr geschmeidig ohne großen Widerstand. Die Gänge schalten butterweich und es sind keine Geräusche mehr zu hören.
Das Getriebe war somit fertig für den Einbau und konnte anschließend wieder in die Maschine eingebaut werden.


Der Einbau gestaltet sich relativ einfach. Das Getriebe wird in den Rahmen gesetzt und leicht angeschraubt. Anschließend die Kette vom Sekundärantrieb zum Hinterrad aufgelegt und folgend die Primärkette zum Motor auf das das Zahnrad gesetzt. Anschließend wird mittels Spanner am Getriebe die Primärkette gespannt. Danach das Getriebe am Rahmen festgeschraubt und zuletzt das Hinterrad mittels Radspanner am Rahmen die Sekundärkette gespannt.




Der Seilzug für die Kupplung wurde eingehängt und eingestellt. Der Kickstarterhebel wurde am Getriebe montiert und das Schaltgestänge angebaut.
Es folge ein manueller Funktionstest und eine anschließende Testfahrt.
Wir hoffen das Getriebe hält wieder 90+ Jahre und spult klaglos viele Kilometer ab.