Zylinderschaden am 350ccm JAP-Sportmotor unserer
Royal Enfield 351 Sport

Die Saison 2024 verlief eigentlich ohne größere Vorkommnisse. Die normale Pflege, etwas putzen, hier mal schmieren, dort mal ölen. Vor Fahrtantritt die Maschine betriebsbereit machen indem man die Betriebsstoffe auffüllt und die Motorenteile mit ein zwei Tropfen Öl versehrt. Nach der Fahrt alles reinigen und überprüfen. Gelegentlich mal eine Schraube nachziehen und den Reifendruck nachfüllen.

Wir haben einige Oldtimertreffen besucht und waren mit den Motorrädern sehr zufrieden.

Das zuletzt besuchte Oldtimertreffen in Tübingen war ein voller Erfolg und die Maschinen erhielten danach die übliche Pflegeeinheit für das nächste Treffen.

Abschließend wird eine kleine Bewegungsfahrt gemacht und nochmal die Funktion überprüft.

Unser Standardmodel war gerade wieder zurück in seiner Garage und die Sportmaschine sollte ebenfalls eine kleine Bewegungsfahrt mit Kontrolle bekommen. Die Fahrt startete völlig unspektakulär und normal.

Leider ist der aktuelle Straßenverkehr relativ stressig um mit einem so alten Motorrad anständig und gemütlich fahren zu können. Wir fahren ungern an der Belastungsgrenze und schonen die Maschine und Motoren soweit es geht. Nicht selten wird man dabei auf Landstraßen unmöglich überholt, geschnitten und auch ausgebremst. Die Bedienung der Motorräder erfordert sehr viel Konzentration und Geschick. Bis zu sieben Hebel müssen während der Fahrt bedient und ständig eingestellt werden. Die Bremsen sind für heutige Verhältnisse sehr schlecht und weit entfernt von der Verzögerung aktueller Fahrzeuge auf der Straße. Es musste schon das ein oder andere Ausweichmanöver vorgenommen werden um eine Kollision zu vermeiden…

Das Sportmodell lief sehr gut und die gewohnte Heimstrecke wurde abgefahren. Als plötzlich mit einem lauten metallischen Knall gefolgt von einer Dampfwolke der Motor ins stottern kommt.

Es wurde zügig abgebremst und die Maschine an den Straßenrand geparkt. Der Motor lief noch bis zum abstellen.

Der Fahrer war ebenfalls bis zum Hosenbund mit Öl bespritzt.

Im ersten Augenblick war die Maschine erstmal komplett voller Öl und lief mit lauten metallischen Geräuschen sehr unrund.

Bereits die erste Begutachtung und Analyse zeigte einen größeren Schaden am Motor.

Nach kurzer Inspektion war klar:

Motorschaden - Zylinder am Flansch gebrochen und lose…

Bei genauer Betrachtung und etwas Belastung konnte der gebrochene Flansch und Riss im Zylinder sichtbar gemacht werden.

Eine Weiterfahrt war unmöglich und natürlich wird versucht keinen weiteren Schaden zu verursachen. Somit wurde der Hänger organisiert und die Maschine zurück in die Werkstatt befördert.

In den kommenden Tagen musste die Maschine zur Schadensbegutachtung um das Triebwerk komplett zerlegt werden.

Der Motor wurde komplett ausgebaut und der Zylinder entfernt. Der Schaden war heftiger als gedacht.

Nicht nur der Flansch ist gebrochen sondern auch ein Teil der Kolbenlaufbahn im Zylinder ist beschädigt.

Glücklicherweise ist der Kolben und Kurbeltrieb mit Gehäuse intakt und muss lediglich ordentlich gespült werden.

Im Endeffekt wird ein Ermüdungsbruch vermutet. Die knapp 100 Jahre gehen nicht spurlos an Material vorbei und der kopfgesteuerte Sportmotor hat eine ordentliche Verdichtung und gute Power für seine Zeit.

Die Problematik mit dieser Motorkonstruktion ist nicht unbekannt. Wir haben bereits öfters solche Brüche und versuchte Reparaturen gesehen. Diese Konstruktion und Belastung ist für einen OHV-Motor grenzwertig und endet in solchen Schäden.

Die Belastung auf dem Zylinderflansch und Gußmaterial ist einfach zu hoch. Ein paar Jahre nach unserem Baujahr wurden bereits die ersten Motoren mit durchgeschraubtem Zylinder + Zylinderkopf verbaut. Unsere Variante mit dem am Rumpf verschraubten Zylinder und getrennt am Zylinder verschraubten Zylinderkopf ist wenige Jahre später (zumindest beim kopfgesteuertem Motor) verschwunden.

Nun bemühten wir uns erstmal um eine mögliche Reparatur des originalen Zylinders. Der Fuß des Zylinder ist auffällig dünn und das Material mit seinen knapp 100 Jahren sicher nicht optimal. Wir haben mehrere Versuche mit diversen Experten unternommen um den Zylinder zu retten. Diverse Schweißarten bis hin zum Laserschweißen erwiesen sich als erfolglos. Der Zylinder ist einfach zu dünn und das Material ungeeignet zum Schweißen einer so hochbelasteten Stelle mit viel Bewegung, Thermik und Belastung.

In unserem Teilesammelsurium befand sich noch ein Zylinder inklusive Zylinderkopf. Allerdings war die Ernüchterung groß als die Abmessungen mit dem Original verglichen wurde… Obwohl der Zylinder ungefähr aus der gleichen Zeit stammt und auch ziemlich sicher aus einem selben Modell ausgebaut wurde, entspricht so gut wie kein Maß dem original Zylinder. Der Flansch hat andere Abmessungen und sogar die Bohrungen stimmen nicht überein. Der Zylinder hat eine kleinere Bohrung für den Kolben und ist dafür etwas länger. Die Zylinder-Kopfschrauben sind an anderen Positionen etc.

Das umarbeiten auf den originalen Motorrumpf wäre ein enormer Aufwand mit vermutlich neuem Kolben und dadurch auch neu gewuchteter Kurbelwelle geworden. Im Endeffekt müsste ein neuer Motor aufgebaut werden und somit wurde diese Möglichkeit schließlich verworfen.

Nach unzähligen Überlegungen und Beratungen sind wir mit einem sehr hilfsbereiten Freund auf die Idee gekommen den originalen Zylinder nachzubauen. Uns war bewusst der Aufwand ist sehr hoch, allerdings konnte auf diesem Weg ein 1:1 Ersatzteil entstehen und das Motorrad eine zweite Chance bekommen.

So entstand ein digitales 3D-Abbild des Zylinder mit allen nötigen Maßen am PC.

In mehreren Stunden wurde der Zylinder 1:1 in das 3D-Modell übertragen und diente als Vorlage für den Nachbau.

Anschließend wurde ein passendes und modernes (bessere Eigenschaften) Gußmaterial in der passenden Größe bestellt. Der massive Gusszylinder hat ein ordentliches Gewicht. In diesem Zustand und dem hohen Gewicht ist es kaum vorstellbar einen leichten und lauffähigen Zylinder als Resultat zu bekommen.

So wurde das Material geliefert und die Produktion eines neuen Zylinders konnte gestartet werden.

Der Start mit dem schweren Rohmaterial lässt den Aufwand erahnen.

Im ersten Arbeitsschritt wurde das Material abgedreht um eine saubere und exakt runde Oberfläche zu erhalten.

Als Nächstes wurde ein erstes Loch für den späteren Kolben gebohrt. Zur Stabilisierung wurde zusätzlich eine Lünette eingesetzt.

Nach mehreren Arbeitsdurchgängen und einem enormen Haufen an Späne war eine grobe Vorstellung möglich.

In den weiteren Schritten wurde der Metallzylinder auf die richtigen Außenmaße des ursprünglichen Zylinder gebracht. Die Ähnlichkeit ist nun deutlich zu erkennen.

Eine echte Materialschlacht, welche in einem großen Haufen an Späne endete.

Mittels einer CNC-Fräse und selbstgeschriebenem Programmen wurde der Zylinder auf das endgültige Höhenmaß abgefräst und der Flansch gefertigt.

Aus dem Metallzylinder wird immer mehr ein richtiger Zylinder entsprechend dem Baujahr 1925.

Für den Zylinderkopf mit den Ventilen mussten noch die Aussparungen für die langen Stößelstangen in den Zylinder gefräst werden.

Im weiteren Fortschritt wurden nun endgültig die Kühlrippen gedreht und der Hals des Zylinder auf korrektes Maß gebracht.

Die möglichst exakte 1:1 Kopie wird erst bei der Gegenüberstellung ersichtlich. Es wurden soweit wie möglich alle Maße übernommen. Lediglich ein paar Verbesserungen sind geplant und eingebaut. Der Flansch und Zylinderfuß sollen eine stabilere Wandung bekommen. Die Verschraubung für den Zylinderkopf soll ebenfalls etwas stabiler ausfallen. Dies wird später aber nicht sichtbar sein und erhöht enorm die Langlebigkeit.

Die Gewinde für die Kopfschrauben waren natürliches ein englisches Sondermaß mit für heutige Verhältnissen ungewöhnlichen Gewindegängen. Das Gewinde wurde mühselig und mit mehreren Tests in der CNC-Fräse nachprogrammiert und in den neuen Zylinder geschnitten. Somit passen mit dem originalen Zylinderkopf auch die originalen Zylinder-Kopfschrauben.

Der Zylinder war nun vollständig und eine exakte Kopie (bis auf die Verbesserungen) vom Original.

Nun musste der Zylinder händisch noch etwas bearbeitet werden und bekommt anschließend den passenden Anstrich. Dazu wurde der Zylinder erstmal sandgestrahlt und entfettet.

Es folgte eine Lackierung mit thermisch robusten Lack im üblichen mattschwarzen Farbton.

Der Einbau gestaltete sich unproblematisch. Den Motor wieder zusammenbauen und die Steuerzeiten richtig einstellen. Den Motor in den Rahmen einbauen, alle Leitungen verbinden und Verschraubungen anziehen. Die zwei Ketten am Motor auflegen und den Zündzeitpunkt wieder korrekt einstellen.

Mit wenigen Tritten am Kickstarter startete der Motor und konnte einlaufen. Ein erster Erfolg und große Erleichterung.

Die Einlaufphase und ersten behutsamen Fahrten gestalteten sich problemlos. Der Motor ist wieder voll einsatzfähig und das Motorrad pünktlich zum 100. Geburtstag wieder fahrbereit.

Obwohl es leider nicht möglich war den originalen Zylinder zu erhalten, haben wir trotzdem versucht die beste und originalgetreuste Lösung zu finden und umzusetzen. Die Unterschiede sind selbst im direkten Vergleich kaum ersichtlich. Es war die einzige Möglichkeit so viel Originalteile wie möglich zu erhalten und den Motor wieder in diesem Gesamtpaket auf die Straße zu bekommen.

Wir hoffen, dass der neue Zylinder die nächsten 100 Jahre übersteht und danken vielmals unserem Freund Tim für seine meisterhafte Leistung und dem daraus resultierendem Kunstwerk. Durch solch hochwertige Hilfe ist es erst möglich solche alten Fahrmaschinen am Leben zu halten. Vielen Dank nochmal!

Wir hoffen mit dem neuen Zylinder und der wieder intakten Maschine zum 100. Geburtstag an einigen Oldtimertreffen teilnehmen zu können und unsere Freude an den alten Motorrädern mit anderen Besuchern und Oldtimer-Fahrern teilen zu können.