Das Royal Enfield Modell 350 Standard
In diesem Beitrag möchten wir unsere erste Royal Enfield vorstellen und einige Besonderheiten, sowie interessante Details zu diesen Maschinen erklären.
Wir besitzen das Model 350 Standard aus der damaligen Produktpalette von Royal Enfield. Damit ist unsere Maschine im mittleren Segment der damaligen Motorräder angesiedelt.


Die Produktpalette:
Es gab zu dieser Zeit (genauso wie heute) ein „Kleinkraftrad“-Segment. Es kennt wohl jeder die 50ccm Kleinkraftrad-Kategorie mit dem kleinem Versicherungskennzeichen.
Zur damaligen Zeit waren 225ccm Zweitaktmotoren schon sehr kleine und ziemlich schwache Motoren. Ein heutiges 50ccm Fahrzeug wär diesen Motoren weit überlegen.
Royal Enfield bediente in dieser Zeit ebenfalls dieses Segment und verkaufte verschiedene Modelle in der 225ccm Zweitakt-Kategorie als 200er-Baureihe.


Diese Modelle sind mit einem bei Royal Enfield hergestellten 225ccm Zweitaktmotor ausgestattet. Je nach Ausstattung gab es verschiedene Ausführungen (Model 201 A, 201, 202…).
Die komplette Modellreihe besitzt den gleichen Motor und unterscheidet sich grob im Rahmen, Lenker und Ausstattung. So ist das Modell 201 A beispielsweise eine Damenversion mit tiefem Einstieg und sehr aufrechter Körperhaltung.


Wesentliche Unterschiede betreffen den Rahmen, Sattel und Lenker. Bei den besseren Modellen wurde ein Zweigang-Getriebe von Royal Enfield verbaut. Die günstigere Varianten haben ein Planetengetriebe in der hinteren Radnabe. Die Bedienung der Gänge ist je nach Modell mit Tankschaltung oder Fußschaltung vorhanden. Auch die Kraftübertragung an das Hinterrad ist ein Ausstattungsmerkmal: Während die günstigeren Modelle einen für damals üblichen Riemenantrieb zum Hinterrad verwenden.
(Der Riemenantrieb war zu dieser Zeit der gängige Standard. Viele Hersteller hatten nicht mal eine Kupplung oder Gänge und wurde zu dieser Zeit einfach „DirectDrive“ genannt.
Dies bedeutet: Bei Fahrtantritt die Maschine anschieben und aufspringen. Bei Ankunft muss der Motor gestoppt werden. Diese Methode ist heutzutage undenkbar. Allerdings hatte beispielsweise Deutschland in dieser Zeit gerade mal etwas mehr als 450 tausend motorisierte Fahrzeuge auf der Straße und richtiger Verkehr war kaum vorhanden. Daraus folgt: Freie Fahrt bis zum Ziel…)
Die besseren Modelle erhielten bereits einen Kettenantrieb zum Hinterrad. Bedeutete bei Nässe kein rutschender Antrieb, weniger Verschleiß und Wartung. Die Motoren waren nicht wirklich abgedichtet und somit ist immer Öl am Aggregat vorhanden. Die Kette wird dadurch automatisch geschmiert und muss nur etwas zwecks Staub, Dreck und Spannung gepflegt werden. Dies ist bei unseren Modellen ebenfalls der Fall. Wir haben noch nie eine Kette zusätzlich schmieren müssen.
Mittleres Produktsegment:
Das mittlere und obere Segment der Produktpalette in 1925 sind die „richtigen“ Motorräder. Eingesetzt wurden die bei Royal Enfield produzierten Viertakt-Motoren. In den Jahren zuvor hat sich Royal Enfield an den typischen JAP-Motoren bedient. Ab 1924 wurden die eigenen Motoren von Royal Enfield vorgestellt und verbaut.
Wir besitzen sowohl Royal Enfield-Motoren, als auch JAP-Motoren. Die Motoren unterscheiden sich (bis auf kleinste Details) nicht und stellen eine ziemlich exakte Kopie der JAP-Motoren dar. Viele Teile sind problemlos untereinander austauschbar. Am auffälligsten ist der Schriftzug „Royal Enfield“ auf der rechten Motorhälfte. Der ursprüngliche Hersteller hatte an dieser Position „JAP“ stehen.
Übliche Kubikklassen waren zu dieser Zeit 350ccm Viertakt-Motoren und die etwas schwereren 500ccm Viertakt-Motoren. Royal Enfield bot um 1925 lediglich 350ccm Viertakt Motoren in verschiedenen Ausführungen an. Die 500ccm Klasse hatte zwar ein höheres Drehmoment, war aber aufgrund der Drehzahl und Gewicht „träge“ und unsportlicher als die 350ccm Varianten. Dieses Segment wurde zu dieser Zeit nicht bedient.
Für die 350er Klasse bot Royal Enfield in dieser Zeit drei markante Varianten an. Unsere Maschine entspricht der 350 Standard mit Royal Enfield 350ccm seitenventiler Motor (Baugleich zum 350ccm seitenventiler JAP-Motor).


Es kam auch zum ersten Mal eine patentierte automatische Ölpumpe zum Einsatz, wo zuvor manuell die Ölversorgung durch den Fahrer kontinuierlich (alle 8-10km) mittels einer Handpumpe auf dem Tank während der Fahrt erfolgen musste. Allgemein ist das Thema Schmierung ein heikles Thema in dieser Zeit. Dazu mehr im Abschnitt „Schmierung“.
Auffällig ist der sehr markante Stecktank im Rahmen, welcher Treibstoff und Betriebsöl aufnimmt. Die Werkzeugtaschen am Gepäckträger und die Schaltung unterhalb des Sattel sind üblich für die 1920er Jahre.
Die gezeigte Umlaufbremse am Hinterrad mit Bremsklotz wurde recht schnell aufgrund von Gleichteilen, Bremsleistung (Regen, Dreck) und Design durch die viertelnaben Bremstrommel aus dem Vorderrad ersetzt.


Allgemein wurde in dieser Zeit an den Fahrzeugen ständig Änderungen und Verbesserungen vorgenommen. So kann ein frühes Modell von 1925 schon mal Abweichungen zu einem älteren Modell aus 1925 haben . Ebenso gibt es kleine Unterschiede in den Details bei unseren Maschinen.
Das 350 Standard Modell besitzt den bereits erwähnten etwas zahmeren und gemütlicheren Seitenventiler-Motor.
Als damalige Besonderheit ist das komplette Motorrad mit Ketten ausgestattet (Antriebskette = Sekundärantrieb, Primärkettentrieb zwischen Motor und Getriebe und eine kleine Kette vom Motor zum Magnetzünder).
Beim Schaltgetriebe bedient sich Royal Enfield bei der sehr bekannten und weit verbreiteten Marke aus England „Sturmey Archer“ in einer sehr beliebten 3-Gang Variante mit integriertem Kickstarter.




Der Rahmen ist als Starrahmen ausgeführt, wobei der Motor sehr fortschrittlich bereits als Rahmenteil fungiert. Die verschiedenen Motoren wurden übrigens immer im gleichen Rahmen verbaut. Lediglich die Befestigungsplatten des Motors variierten.
Für die schlechten Fahrbahnen (damals war überwiegend Schotter oder Feldweg vorhanden) wurde für den Komfort eine so genannte Trapezgabel (öfter auch Tigergabel genannt) verbaut, welche eine zentrale Feder in der Front hatte.
Aufgrund der schlechten Fahrbahnen wurden große und tiefe Schutzbleche aus Metall verbaut. Ein interessantes Detail ist der typische Spritzschutz am vorderen Schutzblech um Fahrer und vor allem die Technik vor Nässe und Verunreinigung zu schützen.
Da ein platter Reifen zu dieser Zeit keine Seltenheit war (Nägel von Hufeisen lagen häufig auf der Straße) hat Royal Enfield ein System am Hinterrad entwickelt, welches mit nur zwei Schrauben das Hinterrad freigelegt werden konnte.
Der Sattel wurde überwiegend von Powell & Hammer (Großer Lieferant für Motorradteile und überhör zu dieser Zeit.) zugekauft und bestand aus sehr robustem Leder. Mit sehr guter Pflege überlebt das Leder und der Sattel bis in die heutige Zeit. Die Ausführung variierte je nach Produktion und Bestand.
Typisch in dieser Zeit wurden die Maschinen ohne jegliche Beleuchtung oder Hupe ausgeliefert. Diese konnten entweder bei Royal Enfield als Zubehör (meist Powell & Hammer) bestellt werden oder wurden oftmals nachträglich gekauft und angebaut. Eine Pflicht für Beleuchtung und Hupe bestand nicht.
Unser Modell hat eine sehr noble und große Frontlampe in Messing von P&H und ein kleines P&H Rücklicht verbaut. Der Karbid-Entwickler ist ebenfalls von P&H, allerdings in einer sehr kleinen Ausführung für städtische Kurzstrecken. Die Funktionsweise wird im Kapitel „Beleuchtung“ erklärt.




Als Hupe besitzt unser Modell eine klassische Ballhupe von P&H mit einen schönen tiefen Ton.
In der oberen Mittelklasse waren noch die beiden 350ccm Modelle mit oben liegenden Ventilen vertreten. Wir besitzen ebenfalls das Sportmodell 351.
Als weiteres gabs es noch das Top-Sportmodell 352. Diese Variante unterschied sich allerdings lediglich durch einen Zweiport-Zylinder mit zwei Krümmern und zwei Auspuffanlagen. Der Gasaustausch war hierdurch besser, wodurch der Motor ein etwas besseres Ansprechverhalten bekommt und sportlicher läuft.
Oberes Produktsegment:
Das Topmodell aus dieser Zeit ist das Modell 182 Sports. Vom Aufbau ein identisches Fahrzeug zu den 350er Modellen, jedoch mit einem 976ccm Zweizylinder Viertakt V-Motor ausgestattet. Die Schaltung wurde nach oben versetzt und die Auspuffanlage für zwei Zylinder angepasst. Diese Modelle wurden allerdings überwiegend im Beiwagenbetrieb (Personen oder Lasten) verwendet.

