Die Lichtanlage
Aufbau und Funktionsweise der Lichtanlage. Das Licht funktioniert komplett ohne Elektrizität. Ebenfalls bekannt unter dem Namen "Karbid-Beleuchtung".


In den 1920er Jahren war (wie bereits erwähnt) vieles noch Pionierarbeit und in stetiger Weiterentwicklung. Ein sehr interessantes Thema aus dieser Zeit ist die Beleuchtung an Fahrzeugen.
Wirkliche Vorschriften gab es zu dieser Zeit noch nicht. Fast alle Fahrzeuge sind komplett ohne Lichtanlage ausgeliefert worden. Unsere Royal Enfields hatten ab Werk ebenfalls keine Beleuchtung. Es konnte aber gegen Aufpreis eine Lichtanlage (meistens von Powell & Hammer) hinzubestellt werden.
Für das Fahren war kein Licht vorgeschrieben. An manchen Orten auf der Erde durfte dann aber nur tagsüber gefahren werden, an anderen Orten war es völlig egal.
Man musste sich auch erstmal trauen in der Nacht mit diesen Fahrzeugen unterwegs zu sein. Die Bremsen waren relativ schwach, die Bedienung aufwändig und die Fahrt erforderte einiges an Geschick und Konzentration. Allein die ganzen Hebel und Funktionen zu bedienen und dazu die oftmals manuelle Schmierung des Motors erforderte einen routinierten Umgang mit dem Fahrzeug. Man musste sein Motorrad schon sehr gut kennen um damit im Dunkeln problemlos unterwegs zu sein.
Auch die vielen Hersteller behandelten das Thema Beleuchtung und Nachtfahrt völlig unterschiedlich. Während beispielsweise Harley Davidson schon 1914 eine elektrische Lichtanlage anbot bzw. verbaute, hatten anderen Hersteller kein Interesse an irgendwelchen Beleuchtungen. Viele Hersteller boten "Laternen" mit Kerzenlicht an um wenigstens im Straßenverkehr gesehen zu werden. Die Umsetzungen und Ausstattungen waren zu dieser Zeit sehr vielfältig und unterschiedlich.
Um zügig und sicher von A nach B zu kommen spielte die Helligkeit eine entscheidende Rolle. Die elektrischen Anlage waren zu dieser Zeit nicht die erste Wahl. Die Lichtmaschinen waren noch sehr schwach. Hochwertige und starke Magnete waren noch nicht vorhanden. Auch die Leuchtmittel waren zum Thema Helligkeit und Haltbarkeit weit entfernt vom heutigen Standard. Der Riemenantrieb zur Lichtmaschine rutschte gerne bei Nässe und die Lebensdauer der Leuchtmittel galt als unzuverlässig. Lediglich der Betrieb war sehr einfach und komfortabel. Sobald der Motor in Betrieb war, war auch die Beleuchtung an. Nachteilig war kein Standlicht vorhanden.
Eine interessante Alternative war die Karbidbeleuchtung. Eine Lichtanlage, welche vollkommen ohne Elektrik funktioniert und dabei ein passables Licht erzeugte.
In diesem Kapitel wollen wir die Umsetzung an unseren Motorrädern und die Funktionsweise erklären. Die Inbetriebnahme und der Betrieb erforderte etwas Aufwand und Aufmerksamkeit.
Unsere beiden Maschinen besitzen Karbid-Lichtanlagen von Powell & Hammer. Aufgrund der verschiedenen Produktionszeiten wissen wir nicht ob diese Anlagen von Werk verbaut wurden oder nachträglich installiert worden sind. Oftmals wurde eine Lichtanlage im Zubehör gekauft und nachträglich an das Motorrad für Nachtfahrten installiert. Die Fertigung und Details passen allerdings ziemlich gut in die Zeit der Baujahre unserer Motorräder.
Die Funktionsweise:
Wie bereits erwähnt funktioniert diese Lichtanlage ohne jegliche Elektrik. Das Grundprinzip besteht auf einem chemischen Prozess, welcher noch lange im Bergbau für die Laternen verwendet wurde. Diese Erfindung war nicht neu, es gab unzählige Laternen, Fahrradlampen und sogar Schweißgeräte, welche nach diesem Prinzip funktionierten.
Das wichtige Element ist Karbid, genauer Kalziumkarbid. Ein chemischer Stoff, welcher im gekauften Zustand wie Kies oder Schotter aussieht und relativ unscheinbar wirkt. Der eigentliche Nutzen entsteht erst wenn das Karbid mit Wasser in Berührung kommt wird eine chemische Reaktion ausgelöst. (Die chemische Formel sparen wir uns an dieser Stelle.)
Die Berührung mit Wasser erzeugt als Endprodukt das Gas namens Ethin. Im normalen Gebrauch wird dieses Gas auch "Acetylen" genannt. Das Acetylen-Gas verbrennt unter normalen atmosphärischen Bedingungen sehr hell und exotherm. Eine schöne helle Flamme entsteht.
Der Entwickler:
Damit man diese Reaktion an einem Fahrzeug verwenden und nutzen kann haben sich die Entwickler zur damaligen Zeit eine raffinierte Apparatur einfallen lassen: Der Entwickler. Ein unscheinbares Gefäß direkt an den Motorradrahmen montiert.
Die Funktionsweise ist relativ simple. Über den Einfüllstutzen wird die obere Kammer des Entwicklers mit Wasser befüllt. (Es wird erzählt, dass viele Fahrer zur damaligen Zeit im Notfall auf einer dunklen Landstraße in den Entwickler gepinkelt haben.) Der schwarze Teil des Entwicklers stellt die Kammer für das Karbidgestein dar. Das Karbid wird mit einer Feder und einem durchlöcherten Teller nach unten gepresst und somit kompakt gehalten. Die beiden Kammern sind voneinander getrennt. Über das Stellrad auf der Oberseite des Entwicklers wird über eine Rastung das Nadelventil eingestellt und gibt ein kleines Loch zwischen der oberen und unteren Kammer frei.
Vor Fahrtbeginn muss der Fahrer mittels dem Stellrad das Nadelventil leicht öffnen. Es tropft langsam und konstant Wasser in die untere Kammer auf das Karbidgestein. Innerhalb kurzer Zeit beginnt die chemische Reaktion und das gewünschte Acetylengas entsteht. Sobald sich der Entwickler damit gefüllt hat entsteht ein Überdruck, welcher das Gas über den Ausgang in den Gasschlauch presst.
Anhand der Rasten am Stellrad kann während der Fahrt die Tropfmenge und somit die Gasproduktion reguliert werden. Wird zu viel Gas produziert, brennt die Flamme in den Leuchten zu stark. Die Lampe verrußt und es entsteht schwarzer rauch, welcher dem Fahrer die Sicht verhindert und das Gesicht und Kleidung schwarz einfärbt. Wird zu wenig Gas produziert drohen die Flammen in den Lampen auszugehen.
Besonders nachteilig ist hierbei, dass das Rücklicht wesentlich schneller ausgeht, als die große Frontlampe.
Über ein T-Stück wird die Gasleitung nach vorne an die Frontlampe und nach hinten an das Rücklicht verlegt.
Die Frontlampe und das Rücklicht sind sehr aufwändig aus Blech oder Messing gefertigt.


An der Frontlampe befindet meistens eine Klammer. Wird diese entfernt kann man den Frontrahmen mit dem Scheinwerferglas zur Seite klappen und kommt somit an die Innereien der Lampe.
Bei der Frontlampe wird der Gasschlauch von unten an den Brennersockel angeschlossen. Das Gas wird über den Sockel weiter an die einschraubbare Düse geleitet. Es gab verschiedene Düsen meistens aus Keramik mit Metallschraubsockel. Die einfachste Düse war ein Stab mit einem Loch in der Mitte und erzeugte eine einfache Flamme. In unserem Motorrad ist eine Y-Düse verbaut, welche aus mehreren Löchern eine relativ breite Flamme erzeugt und somit deutlicher heller ist.
Im Hintergrund ist ein Parabolspiegel angebracht, er bündelt die Lichtenergie aus der Flamme zusätzlich.
Der Fahrer wartet bis hörbar Gas vom Entwickler an der Lampe ausströmt. Mittels Feuerzeug oder Streichholz kann das Gas dann entzündet werden und es wird hell. Danach wird das Frontglas geschlossen und am Entwickler entsprechend nachgeregelt.


Das Rücklicht:
Auch am Heck wurde eine Lichtquelle benötigt. Aus diesem Grund wurden kleine Rückleuchten hergestellt. Sie besitzen meistens sogar eine Kennzeichenbeleuchtung und ein Kontrollglas für den Fahrer.


Die Lichtausbeute ist natürlich gering. Allerdings war es in dieser Zeit in den Nächten allgemein sehr dunkel.
Angezündet wird das Rücklicht über eine kleine Öffnung, welche durch einen kleinen drehbaren Deckel vor Wind geschützt wird.


Hier noch ein kleines Video aus dem Internet wie die Lichtanlage in Betrieb aussieht.

Aktuelle Lage zur Karbid-Lichtanlage:
Unsere Lichtanlagen sind prinzipiell funktionsfähig und wurden auch schon getestet. Allerdings wurden die Anlagen nur einmal zum Test angezündet und waren seitdem nicht mehr in Betrieb.
Nach aktuellem Straßenverkehrsrecht werden gas- oder allgemein flammenbetriebene Beleuchtungsanlagen an Kraftfahrzeugen nicht mehr anerkannt. Für den TÜV ist in diesem Fall keine Beleuchtungsanlage vorhanden. Fahrzeuge müssen heutzutage allerdings eine Beleuchtung für Nachtfahrten besitzen.
Aufgrund des historischen Hintergrunds dieser Fahrzeuge und der Tatsache das solche Fahrzeuge maximal bei schönem Wetter auf ein Oldtimertreffen gefahren werden, wird hier eine (mit viel Aufwand und Bürokratie) Ausnahmegenehmigung erteilt. Beide Fahrzeuge haben ein Sonderrecht in Form einer Tagfahrgenehmigung. Dies bedeutet Fahren ist nur bei gutem Wetter und mit klarer Sicht auf öffentlichen Straßen erlaubt und zugelassen. Schlechtes Wetter oder Dämmerung sind hier nicht zulässig.
